AW: An die Delegierten des DAV
Hallo Ralle,
ich lese aus deinen Zeilen immer eine gewisse Verbitterung aus zurückliegender Zeit, diese verbunden mit einer leicht belehrenden Art.
Dies sei dir ungenommen, denn deine Erfahrungen hast du gemacht und ich war nicht dabei um mir annähernd ein Urteil darüber zu erlauben.
Trotz alledem gibt es neben mir, noch ein paar weitere, die sich anscheinend nicht belehren lassen und, deiner Meinung nach, ins persönliche Verderben rennen.
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Deine Frage, was ich jenseits der Mauer gemacht hätte, kann ich nicht beantworten. Ich zögere keinen Moment Nachteile in Kauf zu nehmen, um meine Meinung laut und offen zu sagen, und habe davon mehr als genug eingefahren.
Wenn dabei das Risiko einer völligen existentiellen Vernichtung besteht, wie es in der ehemaligen DDR ja offenbar der Fall gewesen ist, so weiß ich nicht ob ich dieses Risiko getragen hätte. Es wäre wohl auf den persönlichen Leidensdruck angekommen.
In keinem Fall aber hätte ich diejenigen offen kritisiert, die diesen Mut, oder die nötige Verzweiflung, gehabt haben, offen zu demonstrieren und auf die Fresse zu kriegen.
Und auch wenn das überzogen klingt, denn wir reden hier über profane Angelpolitik, nicht über lebenswichtige Dinge, es hätte keinen Umsturz, keine tiefgreifende Veränderung gegeben, ohne die Masse der Demonstranten, ohne öffentlichen Druck.
Diejenigen, die verhandeln, sind so gut wie nie die gleichen, die demonstrieren und protestieren.
Ohne Demonstranten und die unzufriedene Masse, hätten Verhandler keine Chance. Es sei denn, die Gegenpartei wäre Pleite.
Was Du nicht verstehen willst, oder ich Dir nicht begreiflich machen kann ist, dass ich keineswegs gegen Dich und den Weg, den Du gewählt hast, bin. Im Gegenteil, es braucht Leute wie Dich. Natürlich muss man moderate Worte finden, wenn man verhandeln will. Aber bevor und während man verhandelt, muss man in einer Position sein, die das Gegenüber zur Verhandlung bereit sein lässt. Und wie willst Du oder Leute wie Du in eine solche Position kommen ?
Wir haben das gleiche Ziel, gehen aber unterschiedliche Wege. Zu beiderseitigem Nutzen und mit der logischen Konsequenz, dass sich die Verhandler von den Demonstranten distanzieren,
nachdem sie erfolgreich verhandelt haben.
Aber es ist unabdingbar nötig, dass bis dahin beide Wege beschritten werden. Deine Meinung ist nicht falsch, die ist sogar absolut richtig. Aber das reicht nicht.
Und um auf Dein geschichtliches Beispiel zurück zu kommen.
Glaubst Du, dass es in einer Staatswirtschaftlich gesunden DDR, mit einem Vok überwiegend scheinbar zufriedener, weil stiller Bürger, irgendjemand geschafft hätte, durch Argumente und Verhandlung, durch Erzeugen von Einsicht und vorbringen sachlicher Argumente, ein Umdenken herbei zu führen?