AW: Mit der Fliege auf Karpfen
Hallo,
nachdem ich den Thread jetzt unter einigem Kopfschütteln mehrere Tage verfolgt habe, möchte ich mich doch noch dazu äußern, da hier einige aufgestellten Behauptungen schlicht und ergreifend Unsinn sind. Wer 8er- oder gar 10er-Ruten als Spielzeug bezeichnet und 15er-Ruten (das ist Marlingerät!) zum Karpfenfischen empfiehlt, hat keine Ahnung vom Potential einer Fliegenrute. In einem nicht zu stark mit Hindernissen (ausgedehnte Kraut- oder Seerosenfelder) versetzten Gewässer reicht auch für den 30-Pfünder eine rückgratstarke 8er-Rute. Ansonsten vielleicht auch eine 10er-Rute. Wofür gibt es Hochleistungsbremsen und Backing?
Das Problem liegt eher darin begründet, dass es nur wenige Fliegenfischer in Deutschland gibt, die mangels wirklich kampfstarker Fische vor Ort die Belastungsgrenze eine Fliegenrute kennen und auch voll ausschöpfen können. Diese liegt nämlich erheblich über der einer vergleichbaren Spinnrute. Schon mal gemerkt, wie weit sich eine Fliegenschnur dehnt (die Dehnung wirkt wie ein Shockabsorber!)? Mit einem 25er- bis 30er-Vorfach kann man mit einer 8er-Rute schon sehr viel Druck ausüben. Um mit einer Rute im Drill richtig Druck auszuüben (dies gilt selbstverständlich auch für das „normale“ Angeln), empfiehlt es sich, sich einmal mit den Hebelgesetzen zu beschäftigen.
Die Kenntnis und praktische Anwendung dieser ganzen Drilltechniken sind beim Fliegenfischen in tropischen Gewässern sehr wichtig. Ich spreche hier nicht wie angeführt von Babybarrakudas oder kleinen Dolfins von 4 Pfund, sondern von richtigen Kampfmaschinen wie Trevallys oder Tarpons, die erheblich schneller und kampfstärker als jeder Süßwasserfisch sind. Fehler im Drill bedeuten hier fast immer das sehr plötzliche Drillende und den Fischverlust.
Ehrlicherweise zugegeben: Bis man sich die Drilltechniken auf Großfische angeeignet hat, zahlt man Lehrgeld und verliert Fische. Auch im Salzwasser hat der Fisch sehr oft nicht unendlich viel Platz zum Wegschwimmen (Mangroven, Korallenblöcke etc.). Hier gibt es Drilltechniken, mit denen man im Drill Fische von Hindernissen wegdirigieren kann (z. B. mit extremem Seitendruck, auch „Down and Dirty“ genannt).
Bevor die Frage aufkommt: Nein, ich habe mangels Vorkommen in meinen Heimatgewässern noch keinen großen Karpfen mit der Fliegenrute fangen können. Mein größter Fisch an der 8er-Rute war ein ca. 20-pfündiger Giant Trevally auf den Malediven, der stärker als jeder Weltrekordkarpfen kämpfen dürfte. Nach einer 200-Meter-Flucht quer über die Korallen habe ich ihn doch noch gestoppt (250 Meter Backing sind manchmal wirklich nicht zu viel…). Gut 50-Meter habe ich ihn auch noch ranpumpen können, bis dann doch ein Korallenblock und ein durchgescheuertes Vorfach dem Drill ein Ende gemacht haben. Um es klar zu sagen, der Fisch hat eher versehentlich gebissen; mit einer 8er-Rute wollte ich einen GT dieser Größe nicht unbedingt anwerfen, aber er hat mir auch das wahre Leistungsvermögen einer Fliegenrute gezeigt. Es sieht schon nett aus (und läßt den Angstschweiß ausbrechen...), wenn bei einer Fliegenrute die 5 Zentimeter überm Kork krumm und der Rest der Rute gerade gezogen ist). Wenn ein Fisch quer zu den Korallen zieht, hilft auch eine 17er-Rute nicht vorm Vorfachdurchscheuern.
Gruß Flatfischer