Petri Lord Sinclair und Slick zum Rapfen und Zander!
Hier noch ein Bericht vom Kaimauerangeln am vergangenen Freitag:
WIR GEHEN ANGELN
Ich warte mit dem Angelzeug unten im Treppenhaus auf den N. und die J..
Die Tür geht auf. Da stehen sie.
Endlich ist auch unsere Tochter fertig. Warum brauchte die so lange?
Jeder und jede muss was nehmen: Die Eimer, die Ruten, den Kescher.
Unser Aufmarsch gerät ins Stocken. Zu viert warten wir vor der befahrenen Kreuzung.
Endlich grün!
Dann runter zur U-Bahn, Fahrkarte ziehen.
Am Bahnsteig treffen wir auf P. und ihre Schwester L.
Das Angelzeug wird weiter aufgeteilt.
Etwas unwirklich unsere Gruppe mit Kescher, Angeln und Eimern in der ratternden U-Bahn.
"Wir wollen jetzt erstmal Bubbletea!"
"Oh jaaa!"
Darauf war ich vorbereitet, sage mir "locker bleiben. Wir werden schon noch zum Wasser kommen".
An der Hauptwache integrieren wir uns in die Menschenströme. Die Kinder leiten mich in das Shopping Center "Myzeil".
Glas, Stahl, Fashion, Rolltreppen, Leute mit Sonnenbrillen und Muskelpaketen.
Was machen wir hier?
Im Untergeschoss in einer Ecke gibt es, ein wenig versteckt, eine Art "Laden".
Durch das Schaufenster sieht man eine Theke, Vitrinen, Geräte und drei Angestellte mit schwarzen Haaren und Mandelaugen.
Außer mir scheinen alle zu wissen, was für eine Welt das ist.
Es gibt Dinge, von deren Existenz ich noch nie gehört habe: "Mango Boba", "Tapiokaperlen", "Litschi-Boba".
BUBBLE TEA - nun verstehe ich, wie man die Ladenmiete in der "Myzeil" plus drei Angestellte durch den Verkauf nur eines "Lebensmittel"-Produktes in verschiedenen Variationen bezahlen kann - und dabei noch Gewinn macht.
Fünf Kinder und Teenies halten froh je einen großen transparenten in geheimnisvollen Farben schillernden Plastikbecher mit Deckel und Strohhalm in der Hand.
Drinnen ist Wasser mit Süßstoffen, Aromen und Geliermitteln.
Auf dem Kassenzettel steht 23,50 Euro.
Wir treten wieder ins pralle Sonnenlicht, biegen an der Konstabler Wache nach rechts ab in unsere kleine "Asia Town", überqueren zwei Kreuzungen.
Dann die Sandsteintreppe runter.
Da der Brückensockel mit beidseitig Stufen und kleinen Plattformen.
Hier ist der Ort.
Erstmal die Nilgansscheiße und ihre Verursacher mit dem 15 Liter-Eimer fortspülen.
Gack gaaak,gack gaaak, gack gaaak!
Ich schau' mich um. Bei dem schönen milden Wetter recht viel Leute unterwegs. Junge Männer drehen Joints. Ihre kurzen verstohlenen Blicke auf die Mädchen wecken in mir Beschützerinstinkte.
"Wir wechseln uns ab. Jeder fängt drei Fische, die wir auch essen können, dann kommt der nächste dran.
So, ich fang jetzt an und zeig es euch. Innerhalb der nächsten zwanzig Sekunden werden wir den ersten Fisch haben. Ich mach' da jetzt ein paar Maden an den Haken"
P. fängt an zu zählen: "Eins - zwei"
Als sie "drei" sagt, hieve ich ein zappelndes silbriges Rotauge über die Kaimauer.
"Ooh", "Uiih", "Oh ha!"
Außer der Tochter hat noch keins von den Kindern und Jugendlichen geangelt. Sie wissen nicht, was ein Rollenbügel ist und was "Schnur freigeben" bedeutet;
wie man "Fühlung aufnimmt", spürt, wie das kleine Blei den harten Boden berührt; was ein Anhieb ist, und wie er "gesetzt" wird.
Aber sie lernen.
Anfangs bestücke ich den Haken selbst, betäube die Fische, setze die Herzstiche - bei Grundeln den Stich ins Gehirn.
Dann wollen sie es selber machen. N. sagt, er wolle auch "selber mal einen Fisch umbringen".
Aber mir gefällt das nicht. Es ist zuwenig Respekt für das Leben drin.
Der Fisch will leben. Wie wir.
Und wir nehmen ihm das Leben.
Damit wir ihn essen können, muss das sein.
Bevor wir uns an einem Tisch versammeln und Freude haben und satt werden.
Bevor ich die frittierte Grundel in die Tsatsikisoße tunke und dankbar zubeiße,
müssen wir das tun. Wir und niemand anders ist verantwortlich.
Wenn ich das also tue, dann leide ich immer mit.
P. kann es verstehen, merke das an der Art, wie sie schweigt.
Nach den ersten zwei Durchgängen rieche ich plötzlich Lösungsmittel.
Die Tochter ruft: "Wer will die Nägel lackiert bekommen?"
"Oh nein!, sage ich."
Die Tochter schaut mir frontal in die Augen: "Doch! Ich weiß, dass das denen gefällt!"
Und so ist es dann auch. Ich nehme das alles nur über die Nase wahr, sonst geht es an mir vorbei.
Konzentriere mich auf's Angeln, denn schließlich wollen wir den selbst gefangenen Fisch gemeinsam essen.
Dabei weiß ich nicht wirklich, ob "wir" das wollen. Es ist erstmal mein Wunsch.
Aber je länger wir hier sind, um so mehr konkurrieren andere Tätigkeiten mit dem Angeln.
L. fängt an auf dem Sandsteinsockel herumzutanzen.
N. muss Pippi und findet heraus, dass bei einem geparkten Elektroroller die schrille Klingel trotzdem funktioniert..
Sogar minutenlang.
"N., hör' auf! Das kann keiner aushalten."
Die Tochter, L., und J. produzieren auf der Brücke kurze Filme, Selfies, Tanzeinlagen. Das stört zwar nicht. Aber sie sind nicht da. Sie fehlen.
Zwischendurch klingeln die Smartphones. Die Eltern wollen wissen, wie es ihren Kindern geht.
Nach etwa 4 Stunden, gegen 21:00 Uhr, ist es dunkel, und wir packen ein. Es beißt auch nichts mehr.
Im Eimer befinden sich 350 Gramm Rotaugen und 850 Gramm Grundeln.
Das wird nicht reichen für 6 Leute. Da muss ich wohl später noch mal alleine losziehen.
Müde schlurft unsere kleine Gruppe über die Bürgersteige, vorbei an bärtigen Männern und schick gekleideten Frauen.
An den Restaurants gedämpftes Gemurmel. Kellner servieren duftende Pizzen.
Da liegen frische Steinpilze auf dem Tablett.
Wein wird leise plätschernd in langstielige Gläser gegossen.
Eine Bar mit Stehtischen auf dem Bürgersteig. Wozu nachts Schirme aufspannen? Wir leben nicht in Höhlen.
Frauen gackern und kreischen, Männer erzählen mit lauter Stimme.
Viel lieber geh' ich angeln.
An der Ecke vor unserem Haus sehen wir die beiden Standlichter eines Autos. Die Silluetten eines Mannes und einer Frau sind zu erkennen.
Das sind P.s und L.s Eltern. Vater und Mutter.
Autotüren klappen zu.
Jetzt sind wir nur noch zu viert. Zwei fehlen, ja sie fehlen uns.
Eine Minute später liefern wir auch N. und J. an ihrer Wohnungstür ab.
Übrig bleiben die Tochter und ich. Wir stapfen mit dem Zeug weiter die Treppenstufen hoch.
Immerhin in diesem Punkt sind wir uns einig:
Wir hatten eine gute Zeit.